Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat die wahrscheinliche Wahl Boris Johnsons zum neuen britischen Premierminister als "Horrorvorstellung" bezeichnet. Johnson sei in den Augen der meisten Schotten "vollkommen ungeeignet" für das Amt, sagte Sturgeon dem "Spiegel". Andererseits sei klar, dass eine Wahl Johnsons "unsere Unabhängigkeitsbewegung stärken" werde.
Sie sei sich "sicher", so Sturgeon, dass es noch vor Ablauf der aktuellen schottischen Legislaturperiode ein zweites Plebiszit über die schottische Unabhängigkeit geben werde. Die 48-Jährige sieht in Boris Johnson einen der Hauptgründe für den dramatischen internationalen Ansehensverlust des Vereinigten Königreichs. Johnson habe "als Außenminister seine Inkompetenz und seine mangelnde Redlichkeit eindrucksvoll zur Schau gestellt", so Sturgeon. "Er hat Schwule beleidigt. Er hat muslimische Frauen lächerlich gemacht. Die meisten dürften Schwierigkeiten haben, sich vorzustellen, wie so jemand als Premierminister Menschen miteinander versöhnen will." Die Regierungschefin und Vorsitzende der Scottish National Party ließ offen, ob sie nach dem Vorbild Kataloniens gegen den Willen der britischen Zentralregierung ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten würde. Aber jeder neue Premierminister müsse sich im Klaren darüber sein, wie "illegitim und undemokratisch" es wäre, den Schotten die Zustimmung dazu zu verweigern. Sie sei sich im Übrigen sicher, so Sturgeon, dass die EU Schottland trotz eines erheblichen Haushaltsdefizits "mit offenen Armen empfangen" würde.