Die Wehrmacht hat vor ihrem Rückzug 1945 die Landwirtschaft Ostpreußens zerstört und damit zur Hungerkatastrophe nach Kriegsende beigetragen, bei der Zehntausende deutsche Zivilisten starben. Das zeigen Forschungen des holländischen Historikers Bastiaan Willems, die das Institut für Zeitgeschichte demnächst veröffentlicht und über die der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Willems beruft sich auf Wehrmachtsdokumente aus der zweiten Jahreshälfte 1944. Die Rote Armee hatte die Wehrmacht von sowjetischem Territorium nach Ostpreußen zurückgedrängt.
Das zuständige IX. Armeekorps befahl den Soldaten, ihren Bedarf "aus den Erzeugnissen des Landes" zu decken. Sie durften "Geräte" jeder Art mitnehmen, wenn diese für die "Kampfführung und zum alsbaldigen Gebrauch" benötigt wurden. Die Soldaten bauten Molkereien ab, zerstörten Wasserleitungen, schlachteten fast den gesamten Vieh- und Pferdebestand. "Die Truppe scheint sich noch keinesfalls darüber im Klaren zu sein, dass sie jetzt wieder auf deutschem Boden steht und deutsche Volkswerte zu verteidigen hat", klagte ein Militär. Der Bahnhof des kleinen Rautenbergs war nach einem Bericht "übervoll" mit landwirtschaftlichen Maschinen und Getreide. Der Präsident des Oberlandesgerichts Königsberg notierte schon vor dem Einmarsch der Roten Armee aus Tilsit und Ragnit, die Häuser dort seien "furchtbar geplündert worden". Laut Willems war die Sowjetunion nach ihrem Sieg weder willens noch in der Lage, eine Hungerkatastrophe im besetzten Ostpreußen abzuwenden. In der vom Krieg zerstörten Sowjetunion herrschte ebenfalls eine Hungersnot, bei der zwei Millionen Menschen starben.
23.06.2018 14:25 Uhr